Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! (abgeleitet vom lateinischen sapere aude)
Leitspruch der Aufklärung – Immanuel Kant (1724-1804)
Otto-Versand, Bonprix! Wer kennt diese Unternehmen nicht? Dass der „Otto-Versand“ auch in anderen Bereichen gutes Geld verdient, wissen indes nur noch wenige. Europas größtes Inkassounternehmen, die „EOS DID“ trägt erheblich zum Erfolg des Konzerns bei. Dieses Vorgehen ist seit Jahren den unterschiedlichsten Verbraucherzentralen ein Dorn im Auge. Jetzt versucht die Verbraucherzentrale Sachsen Schuldner des „Otto-Versands“ zum Beitritt zu einer Musterklage zu überzeugen. Natürlich sind nur die Schuldner gemeint, welche sich so lange mahnen ließen, bis das Inkasso eingeschaltet wurde.
Das sich selbst versorgende Inkassounternehmen
Plump gesagt, lässt sich nicht nur mit dem Versand von Waren Geld verdienen, sondern auch mit dem Inkasso, gegen säumige Zahler. Was liegt da näher, als beide Geschäftsbereiche in einem Konzern zusammenzuführen? Aus Sicht der VZ hat die Zugehörigkeit der Inkassogesellschaft zur Otto-Group allerdings ein „Geschmäckle“.
Soll der ehrliche Kunde die Kosten der säumigen Kunden ertragen?
Eigentlich gehört das Mahnwesen zu den Kernbereichen jedes Unternehmens. Mit den entsprechenden Ressourcen, die so einiges an Kosten produzieren. Diese Kosten entstehen jedoch alleine durch die Kunden, die nicht fristgerecht zahlen. Wirtschaftlich betrachtet, gehen die Kosten aus säumigen Forderungen zu Lasten der ehrlichen und fristgerecht zahlenden Kunden. Damit ist das Dilemma aber noch nicht zu Ende. Das geht so weit, dass die Kosten für das interne Mahnwesen nicht auf Rechnungen säumiger Kunden aufgeschlagen werden dürfen. Soll heißen, jeder säumige Kunde produziert aus Unternehmersicht immense Kosten durch seine verspätete Zahlung. Die fehlende Möglichkeit der Unternehmer säumige Kunden zu sanktionieren, führt dazu, dass das interne Mahnwesen so schlank und kurz, wie möglich gehalten wird.
Mahnen, ohne „vergessliche“ Kunden zu verprellen
Für viele Firmen ist es eine Gratwanderung: Welche Kunden vergessen zu zahlen und welche Kunden kann man vergessen? Speziell im B2C-Bereich ist der säumige Kunde darauf hinzuweisen, dass ein weiterer Zahlungsverzug erhebliche Kosten nach sich zieht, wenn für die Beitreibung ein Rechtsdienstleister eingeschaltet werden muss. Solche „Drohungen“ möchte jedoch kein Unternehmer gegenüber guten Kunden aussprechen. Aus dem vorgenannten Grund bleibt trotz der Möglichkeit, einen Rechtsdienstleister mit dem Einzug der Forderung beauftragen zu können, immer noch erhebliche Arbeit im internen Mahnwesen übrig.
„Otto-Group / EOS“ ist nur ein Synonym für eine immer größer werdende Branche
Der Online-Handel hat nicht nur mit Amazon ein Problem. Auch die Riesen aus Asien wollen am deutschen Verbraucher verdienen. Während die Verdienstmargen immer schmaler werden und die Verbraucher „umweltbewusstlos“ gerne zu den billigsten Waren greifen, muss jede Chance genutzt werden, die unternehmenseigenen Kosten zu senken oder wenigstens nicht steigen zu lassen. Die Entscheidung der Otto-Group – obwohl schon seit Jahren etabliert – ist mit Sicherheit keine bloße Folge der Gewinnmaximierung auf Kosten der Schuldner. Es muss immer wieder betont werden, dass der ehrliche Kunde nie in kostenpflichtigen Kontakt mit einem Inkassounternehmen kommt. Tatsächlich sehen viele Online-Händler den Gang zu einem Inkassounternehmen mittlerweile als Notwehr. Gutgemeinte Bezahlvorgänge auf Rechnung werden nur allzu häufig von Kunden ausgenutzt, die entweder gar nicht vorhaben zu bezahlen oder von Gesetz wegen geschützt werden, weil sie unter Betreuung stehen und deswegen nicht zur Zahlung herangezogen werden können. Die Kosten, die letztlich von der Allgemeinheit getragen werden müssen, gehen in die Milliarden!
Verbraucherzentralen auf der Suche nach Ihrer Daseinsberechtigung
Mit Sicherheit sind Verbraucherzentralen eine großartige Errungenschaft moderner Gesellschaften. Ich sehe sie auch gerne auftreten, wenn der Kunde mit dem Kauf eines Diesel-KFZ betrogen wird oder bei irreführender Werbung vermeintlich gesunder Kinder-Schokolade. Allerdings ist der Markt betrügerisch tätiger Unternehmen begrenzt und jede VZ sucht eine öffentlichkeitswirksame Möglichkeit auf sich aufmerksam zu machen. Denn auch die „obere Etage“ der Verbraucherzentralen lebt nicht von Luft und Liebe.
Geld hat man zu haben und Verträge sind einzuhalten
Liebe Verbraucherzentrale Sachsen, ihr packt das Problem an der falschen Stelle an. Gäbe es keine säumigen Kunden, gäbe es auch keine Inkassounternehmen. Ihr wärt den betroffenen Leuten eine wesentlich größere Hilfe, wenn Ihr Aufklärung statt Verwirrung stiftetet. Aber, der Aufruf zu einer Musterklage ist öffentlichkeitswirksamer als die Aufklärung des Einzelnen, dass eine bestellte Ware oder Dienstleistung auch bezahlt werden muss.
Quelle: Leipziger Zeitung vom 31.08.2021