Ein kritischer Blick auf die Rechtslage und Praxis von Inkassounternehmen
Inkassounternehmen stehen häufig im Spannungsfeld zwischen gesetzlichen Regelungen und den Erwartungen an eine faire, transparente Arbeitsweise. Ein kontroverses Thema in diesem Zusammenhang ist das sogenannte Umgehungsverbot, das für Rechtsanwälte in § 12 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) geregelt ist. Nach dieser Vorschrift dürfen Rechtsanwälte nicht direkt mit der gegnerischen Partei kommunizieren, wenn diese bereits anwaltlich vertreten wird. Für Inkassounternehmen hingegen gibt es derzeit keine vergleichbare Verpflichtung – ein Umstand, der nicht nur rechtliche, sondern auch ethische und wettbewerbliche Fragen aufwirft.
Die aktuelle Rechtslage: Was ist erlaubt?
Derzeit dürfen Inkassounternehmen, selbst wenn sie Kenntnis von der anwaltlichen Vertretung des Schuldners haben, diesen direkt kontaktieren. Dies ergibt sich daraus, dass das Umgehungsverbot in der BORA ausschließlich auf die Tätigkeit von Rechtsanwälten Anwendung findet. Inkassodienstleister, die nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) tätig werden, sind nicht an diese Vorschrift gebunden.
Allerdings gibt es Bestrebungen, diese Regelung zu ändern und Inkassounternehmen ebenfalls einem Umgehungsverbot zu unterstellen. Ziel ist es, eine einheitliche Regelung zu schaffen und Schuldner besser zu schützen, insbesondere vor dem Eindruck, sie müssten auf Forderungen reagieren, obwohl sie bereits anwaltlich vertreten sind.
Kritische Aspekte und der Wettbewerbsvorteil:
Der fehlende rechtliche Zwang zur Einhaltung eines Umgehungsverbots verschafft Inkassounternehmen auf den ersten Blick einen vermeintlichen Wettbewerbsvorteil. Sie können direkt mit Schuldnern in Kontakt treten und möglicherweise schneller zu einer Einigung gelangen, als dies einem Rechtsanwalt erlaubt wäre.
Dieser Vorteil ist jedoch trügerisch und birgt erhebliche Risiken:
- Ethische Fragwürdigkeit:
Der direkte Kontakt mit anwaltlich vertretenen Schuldnern kann als Missachtung des bestehenden Mandatsverhältnisses zwischen Schuldner und dessen Anwalt empfunden werden. Dies untergräbt das Vertrauen in eine faire und transparente Schuldenbearbeitung und kann zu einem Imageschaden für das Inkassounternehmen führen. - Seriösität vs. kurzfristige Vorteile:
Seriöse Inkassounternehmen, die sich freiwillig an den Code of Conduct der Branche halten, verzichten bewusst auf den direkten Kontakt zu anwaltlich vertretenen Schuldnern, selbst wenn dies gesetzlich erlaubt ist. Diese Selbstverpflichtung stärkt nicht nur die Glaubwürdigkeit des Unternehmens, sondern fördert auch langfristig eine faire Zusammenarbeit mit Schuldnern und Gläubigern. - Konflikte und Eskalationen:
Der direkte Kontakt kann als Druckmittel wahrgenommen werden und Konflikte zwischen Schuldner und Gläubiger verschärfen. Anwälte könnten zudem rechtliche Schritte gegen das Inkassounternehmen prüfen, etwa wegen der Verletzung allgemeiner Verhaltenspflichten oder unlauteren Wettbewerbs.
Die Rolle des Code of Conduct und die Verantwortung seriöser Inkassounternehmen
Einige Inkassounternehmen haben erkannt, dass sie mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung nicht nur ethisch, sondern auch wirtschaftlich langfristig besser fahren. Die Aufnahme eines „faktischen Umgehungsverbots“ in den eigenen Code of Conduct zeigt Verantwortungsbewusstsein und Professionalität.
Für Inkassounternehmen, die sich freiwillig an diese Leitlinien halten, ergeben sich klare Vorteile:
- Vertrauensgewinn: Schuldner und deren Rechtsanwälte erkennen die Bemühung um einen fairen Umgang und sind eher bereit, an einer einvernehmlichen Lösung zu arbeiten.
- Imagepflege: Unternehmen, die freiwillig höhere Standards einhalten, heben sich von Mitbewerbern ab, die lediglich gesetzliche Mindeststandards erfüllen.
- Wettbewerbsvorteil durch Qualität: Während kurzfristige Vorteile durch direkte Kontaktaufnahme bestehen mögen, zeigt sich langfristig, dass ein seriöses Auftreten zu stabileren Kundenbeziehungen führt.
Fazit: Qualität und Ethik zahlen sich aus
Die aktuelle Rechtslage mag es Inkassounternehmen erlauben, direkt mit Schuldnern zu kommunizieren, selbst wenn diese anwaltlich vertreten sind. Doch seriöse Anbieter, die sich an freiwillige Verhaltensregeln halten, zeigen, dass ethisches Handeln und langfristige Kundenbeziehungen wichtiger sind als kurzfristige Erfolge.
Mit Blick auf die anstehende Gesetzesänderung ist es ratsam, sich bereits jetzt an einem freiwilligen Umgehungsverbot zu orientieren. Dies zeigt nicht nur Verantwortung gegenüber den Schuldnern, sondern trägt auch zur Professionalisierung der Branche bei – ein Ziel, von dem letztlich alle Beteiligten profitieren.